Hallo Ello, und wie lange bleibst Du so?
Ello ist das soziale Netzwerk der Stunde und in fast jeder Schlagzeile zu finden. Keine Ads. Keine Klarnamenpflicht. Kein Pornoverbot – sofern diese Inhalte als NSFW gekennzeichnet sind. Auch das von den Ello-Machern veröffentlichte Manifest macht ein großes Versprechen: ”You are not a product”. Damit positioniert es sich ganz klar als Gegenpol zu Facebook. Eine erste Facebook-to-Ello-Integration gibt es auch schon bereits.
Vom Timing her spielt den Ello-Machern der kürzliche Launch des neuen Facebook Werbenetzwerks Atlas in die Hände – wirft es doch neue Fragen über den Umgang des Unternehmens mit Nutzerdaten innerhalb und jetzt auch außerhalb von Facebook auf.
Reichen Datenschutz und Werbefreiheit als Zugpferd?
Keine Werbung zieht an – zumindest eine Nische, die sich schon lange nach einer Alternative zu den bekannten sozialen Netzwerken sehnt, ebenso wie viele Schaulustige, die unbedingt einmal reinschauen möchten. Dafür ist allerdings die Einladung eines aktiven Ello Nutzers nötig – ohne diese bleibt das Netzwerk für Außenstehende eine geschlossene Gesellschaft. Wie groß diese Nische sowie die Zahl der Schaulustigen ist und im Anschluss an den großen Hype sein wird, lässt sich heute (noch) nicht in Zahlen ausdrücken. Laut Medienberichten verzeichnet Ello etwa 31.000 versuchte Neuanmeldungen in der Stunde. Die große Aufmerksamkeit hat auch schon erste Hacker auf den Plan gerufen: Die Webseite von Ello wurde bereits mit einer DDOS-Attacke lahmgelegt.
Was kann Ello?
Aktuell zeichnet sich Ello insbesondere durch ein minimalistisches Screeendesign aus und ist ansonsten einfach gestrickt:
Ello is a simple, beautiful, and ad-free social network created by a small group of artists and designers.
Nutzer treffen auf ein soziales Netzwerk in der Betaphase – immerhin mobil optimiert. Rudimentäre Funktionen wie das Posten von Texten, Bildern und Links gehören zum Standardrepertoire. Einfachheit gehört zum Konzept. Allerdings hat Ello neue Funktionen bereits auf dem Zettel.
Tritt Ello nur in große Fußstapfen ohne eigene zu hinterlassen?
Vergleicht man Ello mit weiteren Netzwerken wird schnell klar, was der Plattform noch fehlt: etwas Ureigenes – eben der USP. Bei etablierten Netzwerken wird auf den ersten Blick klar, was diese auszeichnet: Facebook bildet mit einer Vielzahl an Funktionen unser gesamtes Leben ab. Twitter ist nach wie vor die erste Quelle für Nachrichten in Echtzeit. Instagram wie Medium sind das zu Hause einer ausgeprägten Kreativszene. Snapchat, Tumblr, Pinterest: Bei all diesen Plattformen fällt die Nennung einer klaren Zielgruppe sowie des USP deutlich leichter. Bei Ello hingegen: Aktuell und in Zukunft (betrachtet man die Liste der geplanten Features): Fehlanzeige.
Wohin soll die Reise denn dann gehen?
Problematisch ist nicht nur der fehlende Nutzen. Mit den bisherigen Andeutungen zum geplanten Geschäftsmodell bohren die Gründer ebenfalls eher dünne Bretter: Mittel- bis langfristig möchten Sie sich über ein Freemium-Modell finanzieren. Bedeutet: Nicht alle Funktionen werden kostenlos sein. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg: Für die Nutzung von Basisfunktionen – und hier ist Facebook die Benchmark – wird kaum ein User bereit sein Geld auszugeben. Und selbst diese sind bei Ello aktuell noch nicht vorhanden. Bedeutet: Bevor das Netzwerk Umsätze machen kann (von Gewinnen wollen wir noch gar nicht reden), wird es in den nächsten Monaten erst einmal weitere Investitionen vornehmen müssen – und zwar sowohl in die Infrastruktur (Ello ist aktuell oft elend langsam) als auch in die Weiterentwicklung der Features. Das alles bedeutet: Ello hat aktuell vermutlich eine beeindruckende Cash Burn Rate, braucht also konstant Geld. Viel Geld.
Eigentlich dürfte da nicht zur Verwunderung führen, was vor kurzem bekannt wurde: Bereits Anfang dieses Jahres bekam Ello eine Finanzspritze in Höhe von 435.000 US-Dollar. Der Geldgeber war das Venture Capital Unternehmen FreshTracks Capital. Ello hat damit den standardisierten Finanzierungsweg eines US-Startups gewählt – ohne allerdings “Standard” sein zu wollen. Wir erinnern uns: You are not a product …
Zurecht werden da schnell erste kritische Stimmen laut: Eine Finanzierung durch ein Venture Capital läuft immer auf einen Exit raus – und den gibt es in zwei Varianten: Entweder über den Verkauf von Ello an ein größeres Unternehmen oder über den IPO / Börsengang. Was in den Augen mancher Kommentatoren die Nutzer bereits jetzt zum Produkt macht. Unsere Meinung: Es hätte dem Versprechen des Unternehmens gerecht werdend adäquatere Möglichkeiten der Finanzierung gegeben: Vom Crowdfunding bis zur Gründung einer Stiftung. Eine kreativere Finanzierung hätte der Glaubwürdigkeit von Ello gut getan. Ebenso wie eine stringentere Kommunikation: Die Tatsache, dass ein VC die Startfinanzierung von Ello ermöglicht hat wurde durch die Gründer zumindest nicht aktiv kommuniziert.
Gründer Paul Budnitz reagierte auf Beta Beat trotz alledem relativ gelassen.
Die Zukunft wird zeigen, wohin Ello steuert. Fakt ist: Ohne eine ausreichend große Nutzerbasis, die mittel- bis langfristig kostenpflichtige Feature in Anspruch nimmt, kann und wird Ello sich weder alleine finanzieren können noch Gewinne abwerfen.
Einige Unternehmen sind auch schon da
Keine Werbung bedeutet erstaunlicherweise nicht, dass Unternehmen draußen bleiben müssen. Paul Budnitz selbst nutzt mit @budnitzbicycles bereits einen Account für eine seiner früheren Gründungen. Eine kleine Auswahl weiterer Accounts, die schon munter mitmischen: The Independent, Wall Street Journal und Engadget. Ist das inkonsequent? Zumindest ist es von den Gründern nicht durchdacht und wird weder klar kommuniziert noch unterbunden.
Unser Fazit
Ello spricht ganz klar eine Nische an, die sich in erster Linie von Themen rund um Datenschutz und Werbefreiheit angesprochen fühlt. Ob allerdings aus den derzeitigen Neuanmeldungen auf Ello genauso viele aktive und zahlungskräftige Nutzer werden? Die Erfahrungen der letzten Jahre (app.net, diaspora und co) sprechen dagegen.