Social Commerce ist kein Sales-Tool!
Ein kurzes Essay für alle, die noch auf der Suche nach dem perfekten Social Commerce Tool sind…
Die digitale Community beschäftigt sich schon eine ganze Weile kritisch mit dem Thema Social Commerce und nicht wenige gehen davon aus, dass Verkaufen mit der Idee des sozialen Austauschs grundsätzlich nicht vereinbar sei. Als Begründung wird angeführt, dass gebrandete Shop-Systeme im sozialen Kontext nicht funktionieren würden, oder dass das Social Web mit einer professionellen Verkaufs-Attitüde unvereinbar sei, oder dass die Menschen Facebook allgemein kein Vertrauen schenken wenn es um Verkaufsprozesse geht. Solche kritischen Aussagen lassen einige eCommerce-Experten zu dem Schluss kommen, dass Social Commerce generell nicht funktioniert. Dabei handelt es sich jedoch um ein grundsätzliches Missverständnis über den Charakter von Social Commerce und letztlich auch über das Verhältnis von Mensch und Produkt. Ein korrektes Verständnis des Themas Social Commerce rückt diese Perspektive insoweit zurecht, als es nicht Produkte sondern Menschen in den Mittelpunkt stellt. Im Fokus einer funktionierenden Social Commerce Strategie steht demzufolge zunächst ein echtes Verständnis der sozialen Ziele und Motivationen der menschlichen Teilnehmer digitaler Communities und keinesfalls der bloße Abverkauf von Produkten oder dafür vorgesehene Tools, Applikationen und Plattform-Mechaniken.
Darin liegt eine große Herausforderung. Aber auch eine große Chance, zumindest für diejenigen, die verstanden haben, dass man zuerst die Motivation einer Community verstehen muss, bevor man dort einen neuen „Marktplatz“ einrichten kann. Generell auf dem richtigen Weg befinden sich psychologisch orientierte Ansätze, die den sozialen Mehrwert der Social Web Nutzer in den Vordergrund stellen und daraus heuristische Prinzipien ableiten. Auch diese Ansätze bleiben aber stumpf solange sie nicht die individuelle Motivation der Community-Nutzer berücksichtigen.
Das oberste Prinzip jeglicher Social Commerce Bemühung heißt daher: Verstehe die Motivation Deiner anvisierten Nutzer-/Käuferschaft. Grundsätzlich sind Menschen nicht geboren um zu kaufen, sondern sie kaufen um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen. Im sozialen Kontext bedeutet das, dass es sich um ein originär soziales Bedürfnis handeln muss – denn generische Produkte ohne sozialen Bezug und sozialen Mehrwert können über jede (Preis)Suchmaschine schneller, einfacher und vor allem billiger erstanden werden.
Doch wie kann ich den Nutzern einer Community einen solchen sozialen Mehrwert zur Verfügung stellen? Dabei handelt es sich um eine originär kreative Leistung, die grundsätzlich nicht durch Applikationen oder geldwerte Incentives ersetzt werden kann. So ein „Mehrwert“ kann zum Beispiel die Möglichkeit zur positiven Selbstdarstellung über ein individuelles/individualisierbares Produkt sein. Da beim Social Commerce aber eben grundsätzlich nicht Produkte sondern Menschen und deren soziale Interaktion im Vordergrund steht muss es aber nicht notwendigerweise nur um Kaufprozesse gehen – eine wichtige Alternative kann das Sharing oder der Tausch sein.
Soziale Prozesse haben darüber hinaus mit dem Aufbau und der Aufrechterhaltung von engen sozialen Beziehungen zu tun, man denke hier zum Beispiel an die kulturübergreifend etablierte Praxis des individuellen wie kollektiven Schenkens. Genauso liegt auch der Kooperation und der gegenseitigen Unterstützung im Urgedanken ein soziales Prinzip zu Grunde: Irgendwann brauchen wir alle Hilfe, daher sind Menschen auch – entgegen dem rationalistischen Zerrbild des früher vertretenen homo oeconomicus-Modell – durchaus altruistisch veranlagt wenn der entsprechende Kontext sozial ausgestaltet ist.
Letztlich gilt aber auch in sozialen Communities: Nicht jeder ist gleich, manche Vertreter haben einen überdurchschnittlich hohen Einfluss oder eine überproportional hohe Beteiligung innerhalb der Nutzergemeinschaft. Diesen „Influencern“ kann und soll man auch eine Basis für ihr Engagement geben, wenn es vor dem Hintergrund des durch sie generierten Mehrwerts für die Community gerechtfertigt ist. Diesbezüglich existieren Möglichkeiten analog der von Amazon im Rahmen ihres Marketplace-Ansatzes genutzten Technik. Eine dieser Möglichkeiten ist etwa Curated Commerce, das heißt den durch hervorragende Leistung ausgezeichneten Experten in einer Community eine besondere Plattform für ihre Aktivitäten zu geben.
Zusammengefasst lassen sich folgende fünf Regeln für die Entwicklung einer funktionierenden Social Commerce Strategie ableiten – Regeln die vor dem Hintergrund jeder Nutzer-Gemeinschaft individuell und kreativ mit Leben erfüllt werden wollen:
1. Verstehe die Motivation Deiner anvisierten sozialen Web-Community: Der von We Are Social realisierte Case einer „Get Well“-Soup veranschaulicht besonders gut, was hier gemeint ist: Statt einer simplen Hühnersuppe verkaufte die Ketchup- und Suppen-Marke Heinz auf Facebook äußerst erfolgreich einen individualisierbaren Genesungs-Gruß, den man in der kalten Jahreszeit seinem kranken Freund als Zeichen der persönlichen Sorge schicken konnte.
2. Entwickle einen konkreten sozialen Mehrwert für den individuellen Nutzer innerhalb der sozialen Gemeinschaft, etwa über individuelle/individualisierbare Produkte. Ein anschauliches Beispiel für diese Art des sozialen Mehrwerts bietet der Case des BMW Key2Joy, eines über Facebook und Amazon UK im Rahmen eines mittlerweile abgeschlossenen Pilotprojekts käuflichen Covers zur Individualisierung des BMW Fahrzeugschlüssels. Der soziale Mehrwert entstand hier als spezielle Art von Conspicuous Consumption, bei der der Käufer seiner sozialen Community zu verstehen gibt, dass er BMW fährt und darüber hinaus auch noch besonderes Stilbewusstsein besitzt.
3. Ermögliche den Austausch der Nutzer untereinander, zum Beispiel über den Tausch oder das Teilen von Produkten und Dienstleistungen (Intra Community Exchange). Die Marke Patagonia liefert hierfür ein wunderbares Beispiel, das auch noch perfekt auf die nachhaltigen Werte der Marke einzahlt: Patagonia-Nutzer können ihre gebrauchten Produkte auf einem eigens dafür eingerichteten eBay-Shop kaufen und verkaufen und qualifizieren sich dadurch als nachhaltige Verbraucher.
4. Fördere die Kooperation und gegenseitige Unterstützung der Teilnehmer Deiner Community. Airbnb und Travelmob sind hervorragende Beispiele hierfür und zeigen zugleich wie aus kooperativen Ansätzen neue, innovative Geschäftsmodelle entstehen können: Private Vermieter teilen ihre Unterkunft zu günstigen Tarifen mit Reisenden.
5. Stelle Deinen wichtigsten Influencern eine Plattform zur Verfügung, mit deren Hilfe sie ihr Engagement zum Nutzen der gesamten Social Web Community einbringen können. Ein perfektes Beispiel hierfür stellt die Art und Weise dar, wie das Thema Curated Commerce in der Fashion Industrie Verwirklichung findet: Fashion Online Shops wie etwas LookLab binden Fashion Insider aktiv in ihren Online-Auftritt ein und ermöglichen Kunden so einen stilsicheren Einkauf.
Richtig verstanden bilden diese fünf Regeln eine valide, strukturierte Grundlage für die Erarbeitung einer funktionierenden Social Commerce Strategie. Entsprechend der jeweils anvisierten Community werden die Regeln dabei zu jeweils unterschiedlichen Lösungen führen, deren Qualität wesentlich von der investierten Kreativität und Erfahrung abhängen wird. Abschließend sei daher noch betont, dass es sich hier nicht um eine Anleitung nach Schema F(acebook) handelt – die Ausarbeitung einer funktionierenden Social Commerce Strategie verlangt Verstand und Expertise. Und im besten Fall eine speziell dafür qualifizierte Agentur.