Agenturen und Personalrochaden: Himmel oder Hölle?
Autor: Roberto Collazos Garcia, CEO von We Are Social Deutschland
Kennen Sie das Kinderspiel Himmel und Hölle? Ziel dieses gleichzeitig einfachen und doch anspruchsvollen Hüpfspiels ist es, von der „Erde“ aus in den „Himmel“ zu hüpfen. Derzeit erinnert mich dieses Spiel in vielem an unsere Agenturbranche. Auf allen Ebenen hüpft das Personal: von Agentur zu Agentur, von Agentur zu Kunde. In einer extrem hohen Frequenz. Große Agenturen plündern bei kleinen, Werbungtreibende grasen im großen Stil die Agenturweiden ab. Ist das Corona und dem Home-Office geschuldet, die deutsche Version der Great Resignation oder vielleicht die Zukunft der Agenturwelt?
Ich weiß es nicht, aber das Ergebnis gibt mir zu denken. Denn als Konsequenz dieser Entwicklung befördern viele Agenturen ihre Mitarbeiter*innen zu schnell. Vom Junior zum Senior, vom Mitarbeiter*in im Team zur Führungskraft. Nicht aus Überzeugung, sondern schlichtweg, weil innerhalb kurzer Zeit viel zu häufig freie Stellen nicht adäquat nachbesetzt werden können. Wenn das so weitergeht, werden einige Agenturen über kurz oder lang zusammenbrechen – weil keiner mehr das kann, wofür er oder sie bezahlt wird oder weil einfach keiner mehr da ist.
Karrierefalle Beförderung – zurück zur „Erde“ hüpfen
Ich meine das gar nicht zynisch, aber in dieser etwas provokanten These steckt ein wahrer Kern. Klar, wer will nicht gerne mehr Geld, mehr Verantwortung und mehr Ansehen? Doch eine allzu schnelle Beförderung schadet den Agenturen und den Mitarbeitenden mittelfristig. Denn zahlreiche Mitarbeiter*innen steigen auf, nur um danach zu scheitern. Weil die neue Stufe zu früh kommt, die Erfahrung fehlt oder schlichtweg die Qualifikation. Der anfänglichen Euphorie folgt recht schnell die Erkenntnis, dass die Erwartungen des Arbeitgebers oder der Kunden mit den neuen Gehaltsstufen mitsteigen. Die Ergebnisverantwortung und die Belastung nimmt spürbar zu. Dann wird aus Verzweiflung und gereizt sein auch schnell Überforderung und Erschöpfung. Das Fatale dabei: Überforderte Mitarbeiter*innen schauen sich schnellstmöglich nach etwas Neuem um (Angebot ist reichlich vorhanden), irgendwann kommt es zur Kündigung. Das beschleunigt das Problem. Denn kaum einer wechselt freiwillig eine Stufe nach unten. Was also tun?
Raus aus dem Teufelskreis – Die Hölle überspringen
Klar, die Agenturbranche steht wie – viele andere Branchen auch – vor der Herausforderung, den Fachkräftemangel zu bewältigen. Es gibt aktuell definitiv viel zu viele unbesetzte Stellen. Und: Wir sind nicht die beliebteste und auch nicht die am besten zahlende Branche. ABER: Wir sind und waren schon immer eine beliebte Anlaufstelle für Quereinsteiger. UND: Es macht tatsächlich Spaß, in der Kreativ- und Kommunikationsbranche zu arbeiten. Als Agenturen sollten wir deshalb alles unternehmen, dass unsere Mitarbeitenden nicht den Spaß verlieren.
Es ist aber vermessen zu glauben, dass es reicht, einen Hebel zu bewegen, um die Situation grundlegend zu ändern. Beispielsweise in dem wir eine Riesen-Gattungskampagne aller Verbände organisieren, in der wir dem Nachwuchs erzählen, wie toll die Kommunikationswelt ist. Ich glaube, die Lösung ist deutlich komplexer. Und die Herausforderung besteht darin, individuelle passende Benefits für die Mitarbeiter*innen zu finden, ohne dass die Firmenstruktur, die Prozesse und die Qualität der Arbeit sowie die Kundenzufriedenheit leidet.
Ich denke, wir als Agenturwelt brauchen ein ganzes Potpourri an Leistungen, um als Branche attraktiv und zukunftsfähig zu bleiben. Wir fragen deshalb regelmäßig bei unseren Kolleg*innen ab, wie sie uns als Unternehmen beurteilen – in den verschiedensten Bereichen, vom Management über das Gehalt bis hin zu konkreten Services. Und die jüngste Umfrage hat auch bei uns einen wirklichen Pain point zu Tage gefördert: Unsere Mitarbeitenden haben dabei zu Protokoll gegeben, dass sie sich in Sachen Weiterbildung mehr von uns als Agentur wünschen. Wir werden deshalb das zweite Halbjahr schwerpunktmäßig dazu nutzen, um unsere Mitarbeiter*innen weiterzuentwickeln und mit konkreten Maßnahmen zu unterstützen, um hier bessere Ergebnisse zu erzielen. Ich bin persönlich fest davon überzeugt, dass die individuelle Weiterentwicklung der Mitarbeitenden für die Agenturbranche essentiell ist – gerade unter dem anfangs diskutierten Aspekt. Das trifft für die fachliche Weiterbildung zu, aber auch für die Persönlichkeitsentwicklung.
Für uns bei We Are Social ist die körperliche und seelische Gesundheit der Mitarbeitenden auch eine zentrale Basis. Corona hat das Thema Mental Health beschleunigt, deshalb bieten wir neben einem Social Day bzw. CSR Day, bei dem die Kolleg*innen ein soziales Projekt ihrer Wahl unterstützen können, seit diesem Jahr zwei Health Days an. Also zwei zusätzliche Tage pro Jahr, die die Mitarbeitenden nach freiem Ermessen für die eigene Gesundheit investieren können. Diese Health Days müssen die Mitarbeitenden nehmen. Und das gilt ausnahmslos für alle Teammitglieder von We Are Social – von der Werkstudent*in bis zum CEO, für Voll- und Teilzeitangestellte. Die Health Days sollen der Erholung dienen, um Kräfte zu sammeln, den eigenen Akku wieder aufzuladen – sei es vor, in oder nach einer stressigen und fordernden Zeit. Und das ganz ohne schlechtes Gewissen gegenüber dem Team oder Vorgesetzten.
Alle anderen Benefits, von vergünstigten Konditionen im Urban Sports Club über Rabatte beim Einkauf, Betriebsrenten mit Zuschuss oder vermögenswirksame Leistungen sind für viele Agenturen heute schon Basics. Ebenso flexible Arbeitsmodelle und -zeiten: Home oder Mobile Office gehören da natürlich dazu. Bei uns als international tätigem Unternehmen haben Mitarbeitende zusätzlich noch eine sehr attraktive Möglichkeit: Sie können ihren Job für eine gewisse Zeit in unseren insgesamt 16 Offices in anderen Ländern erledigen. Amsterdam, Dubai oder Sydney, Hauptsache die Frisur sitzt. Und in diesem Fall kann ich mit dem Hopping auch problemlos leben.
Dieser Artikel erschien im Juli auf Horizont.net.
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